St. Augustinus

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Der letzte Konzerttag in der Reihe Musik in St. Augustinus
Ein Beitrag zum Standortfaktor Kultur

Pfingstdienstag. 6. Juni 2006. Ein Schulferientag nach Pfingsten in Niedersachsen. Drei Tage vor dem Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, zwischen Deutschland und Costa Rica. Das hannoversche Wetter wie immer. Bewölk, nicht sonderlich warm, aber auch nicht mehr so kalt wie in den vergangenen Monaten. Eine günstige Voraussetzung für die kurz vor Pfingsten generalgewartete und hervorragend gestimmte Lobback-Orgel durch den Hamburger Orgelbauer. Es regnet nicht.

Die Vorbereitungen für die Textauswahl zum Konzert sind nach der Lektüre von einigen Büchern zum Fußball nach arbeitsreichen Wochen abgeschlossen. Auch die Recherchen im Internet waren erfolgreich. Anspruchsvolles von Rainer Maria Rilke bis leicht verdauliche Sprüche großer Trainer und Fußballer sind zusammengetragen. Nur die Nationalhymnen der sieben Fußball-Weltmeister (Nationalhymnen - Texte und Melodien, Stuttgart, 11 Auflage 2006, 224 S.) stehen fest - unveränderbar die Melodien der Hymnen. Gott sei Dank.

In der Landeshauptstadt hängen unübersehbar die Plakate der Reihe Musik in St. Augustinus mit dem Slogan "Hannover am Ball". Drei Fußbälle sind deutlich in den Orgelpfeifen der abgebildeten Lobback-Orgel erkennbar: Kirche, Musik und Fußball. Eine seltene Mischung. Es kann losgehen. Eine Welt-Uraufführung mit Orgelimprovisationen über die Nationalhymnen der Fußball-Weltmeister.

Der Pfingstdienstag beginnt um 8.00 Uhr in der St. Augustinuskirche mit den Vorbereitungen auf der Orgelempore: Laptop, Drucker, Verpflegungskörbe und Getränke, Stühle und Bistrotisch etc. werden benötigt. Der NDR-Hörfunk hat sich um 9.30 Uhr angesagt. Ein Übertragungswagen steht auf dem Kirchplatz. Mikrofone werden in der Kirche aufgebaut.

Vorgesehen ist eine Live-Übertragung aus der St. Augustinuskirche von 12.00 bis 13.00 Uhr in der Sendung "Hörer machen ein Musikprogramm" von NDR1 mit dem Moderator Reinhard Stein.

Gegen 11.00 Uhr treffen sich auf der Orgelempore die Akteure der Sendung zum Vorgespräch: Prof. Wolfgang Seifen, Pater Thomas Astan, Winfried Dahn und NDR-Moderator Reinhard Stein.

Und dann geht's los. Mit einer kurzen Improvisation beginnt Prof. Wolfgang Seifen mit der "Marseillaise" - der französischen Nationalhymne. Knapp 60 Sekunden lang. Der Trompetenchor der Lobback-Orgel eröffnet die Sendung aus der St. Augustinuskirche. Es folgen zwischen den ausgesuchten Musiktiteln in der Sendung die Interviews zum 8. Benefizkonzert für die Straßenkinder in Brasilien und jeweils die Improvisationen der Nationalhymnen von England und Italien. Die deutsche Hymne ertönt zum Schluss der Sendung in einer gewaltigen Toccata, der den Kirchenraum in St. Augustinus klanglich in eine Kathedrale verwandelt.

Glücklich und zufrieden bedankt sich NDR-Moderator Reinhard Stein bei allen Beteiligten. Wie viel Besucher werden nach dieser Sendung zum abendlichen Konzert kommen - bei einer Beteiligung von ca. 700.000 NDR1-Hörern?

Beim anschließenden Mittagessen im Landesfunkhaus am Maschsee werden die persönlichen Eindrücke über die Sendung noch einmal reflektiert. Es bleibt nicht viel Zeit.

Schon um 15.00 Uhr ist die Generalprobe anberaumt. Dazu kommt jetzt noch der Staatsschauspieler Ernst-Erich Buder. Es beginnt die Sprechprobe der vorbereiteten Texte, stehend an einem Bistrotisch auf den untersten Stufen des Altars. Wie ist die Verständlichkeit in der Kirche? Müssen die Mikrofone anders eingestellt werden? Wie ist das Zusammenspiel zwischen dem Moderator Dahn und dem Rezitatoren Buder und Astan?

Alles wird noch einmal innerhalb des Quartetts Astan, Buder, Dahn und Seifen durchgesprochen und abgestimmt. Es bleibt nicht viel Zeit für die Generalprobe. Um 16.00 steht das NDR-Fernsehteam von Hallo Niedersachsen in der Kirche. Es wurde als erstes geklärt, wie die Liveschaltung am Abend aus der St. Augustinuskirche so gegen 19.30 Uhr ablaufen soll. Wo die Kameras stehen werden, um sowohl das Geschehen auf der Orgelempore als auch den Kirchenraum mit den Besuchern und der Lobback-Orgel zu zeigen.

Zusätzlich zum NDR-Fernsehteam hat sich kurzfristig ein siebenköpfiges Fifa-Fernsehteam aus der Schweiz angemeldet, um das gesamte Konzert mit den Nationalhymnen aufzunehmen, um den Fifa-Film der Nationalhymnen zur WM 2006 weltweit zu zeigen. Auch mit diesem Team musste kurzfristig der Ablauf geklärt werden.

Es ging Schlag auf Schlag weiter. Pünktlich um 19.00 Uhr hatte der Pressesprecher der Kath. Kirche in der Region Hannover, Winfried Gburek, die Presse auf die Orgelempore eingeladen. Dass die vielen Medien in Hannover - von der Zeitung bis hin zum NDR - auf die Veranstaltungen aufmerksam wurden, war ein Verdienst von Winfried Gburek.

Schon während der Pressekonferenz füllte sich die Kirche. Wie immer in den 18 Jahren wurden die Konzertbesucher am Eingang von Christa Dahn begrüßt.

Inzwischen war vom NDR signalisiert worden, dass die Liveschaltung erst gegen 19.41 Uhr erfolgen kann. Diese Zeitänderung führte zu einer Umstellung des Programms. Somit begann die Veranstaltung mit Pater Astan in der gut gefüllten Kirche erst um 19.35 Uhr mit einem philosophischen Text zum Fußball.

Danach war um 19.41 Uhr die Liveschaltung mit der englischen Nationalhymne "God Save the Queen" geplant. Pustekuchen! Die NDR-Moderatorin signalisierte allen Beteiligten auf der Orgelempore, dass noch keine Schaltung vorliege. Also befanden wir uns alle in einer Warteschleife, die Prof. Seifen mit leisen Orgeltönen untermalte. In der Kirche ahnte keiner, warum das Konzert, wie im Programm angekündigt, immer noch nicht mit der englischen Hymne begann. Die Zeit zerran.

Und dann kam das Signal der Moderatorin, wir sind live auf Sendung. In diesem Augenblick schwenkte die Kamera vom Orgeltisch zur Moderatorin, die das Konzert der Nationalhymnen in Hallo Niedersachsen vorstellte. Während im Hintergrund Prof. Seifen moderat die englische Hymne improvisierte, konnte Winfried Dahn als Leiter der Musik in S. Augustinus Ziel und Zweck der Veranstaltung erläutern.

Die Abschlussfrage der Moderatorin, ob dieses einzigartige Konzert irgendwann in St. Augustinus wiederholbar sei, antwortete Dahn mit augenzwinkernd mit einem Ja, aber nur dann, wenn Deutschland Fußballweltmeister 2006 werden sollte. Prof. Seifen nickte vom Spieltisch der Lobback-Orgel zustimmend.

Und so ging es Schlag auf Schlag mit den Hymnen weiter. Nach den südamerikanischen Hymnen (Argentinien, Uruguay, Brasilien) vor der Pause ging es mit den europäischen Fußballweltmeister (Italien, Frankreich) weiter. Dem Einfallsreichtum des Organisten von der Universität der Künste in Berlin waren Spielfreude und in der abwechselungsreichen Registrierung keine Grenzen gesetzt. Mit einer überschäumenden Kreativität bearbeitete er die Hymnen. Über eine Videoleinwand konnten die Besucher das virtuose Spiel mit den Händen und Füßen verfolgen. Unglaublich die Fußarbeit.

Das Finale des weltmeisterlichen Konzertes in St. Augustinus begann aber zurückhaltend. Schlicht spielte Prof. Wolfgang Seifen die Melodie der deutschen Nationalhymne. Einstimmig mit nur einem leisen 8-Fuß-Register. Seltsam, aber eindrucksvoll, spannungsgeladen - wie die Abschiedsworte zum Ende der Reihe Musik in St. Augustinus zuvor. Die deutschen Hymne endete dann in einem atemberaubenden Finale, in dem das Thema von Haydn von den Melodien der anderen Nationalhymnen überlagert wurde. Eine geniale Idee vom begnadesten Orgelimprovisator Deutschlands. Standing Ovation vom Publikum. Das Benefizkonzert war gegen 22.00 Uhr beendet. Es dauerte viel länger als ein Fußballspiel.

Im Don-Bosco-Haus klang der Konzertabend mit allen Beteiligten aus. Wie schon zur Halbzeitpause wurden die Besucher von Mitgliedern der Kolpingfamilie Ricklingen gastronomisch unter dem Motto "Zu Gast bei Freunden" liebevoll verwöhnt - ein Ricklinger Markenzeichen. Die Kollekte für die Straßenkinderarbeit in Brasilien wurde der 2. Vors. Renate Schmelzer und Pater Thomas Astan übergeben: 1681,00 EURO kamen zusammen. Anschließend ging es noch zum Aufräumen in die St. Augustinuskirche.

Um 1.30 Uhr endet ein großer Konzerttag in St. Augustinus. Eine internationale Musikreihe ist nun nach 18 Jahren zu ende. Der Vorhang fällt. Die 170 Konzerte mit 45.000 Besuchern in der Reihe Musik in St. Augustinus sind Vergangenheit. Ohne große Diskussion.

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Studiendirektor Winfried Dahn
Gründer und Leiter der Musik in St. Augustinus