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Lebensjahre in Ricklingen: „Die Straße“ - ein Buch von Rolf Alldag

Von Hagen Jung

Eindrücke aus Ricklingen, und nicht allein von dort, finden Leserinnen und Leser in dem vor kurzem erschienenen, von Rolf Alldag verfassten Buch „Die Straße“. Hagen Jung, Journalist, selbst in Ricklingen aufgewachsen, hat es gelesen. Hier seine Eindrücke:

Wo „Die Straße“ zu finden ist, die dem Buch den Titel gibt, verrät die Schrift auf dem Umschlag nicht. Viele Betrachter werden auch die Häuserzeile auf dem Titelfoto keiner Stadt zuordnen können. Die Ricklinger können es. Sie erkennen die Friedrich-Ebert-Straße. In ihr hat der Verfasser, Rolf Alldag, Kindheit und Jugend verbracht. Und so manches, was er zwischen Kiesteichen und Fischerhof erlebte, hat er eingeflochten in eine Autobiographie, die in vielen Ricklingern Erinnerung wecken wird.

Es ist kein Buch über, sondern eines mit Ricklingen. Keine Sammlung von Anekdoten aus einem Stadtteil oder gar eine liebevolle Beschreibung desselben ist es; vielmehr die Geschichte eines Mannes, der „Die Straße“ als Synonym für eine überschaubare, ihn mit prägende Region gewählt hat.

Rolf Alldag, 1938 in der Friedrich-Ebert-Straße geboren, wohnt mittlerweile im Harz. Doch spricht aus seinen Zeilen, wie sehr er Ricklingen noch immer verbunden ist. Dabei verklärt er die Erinnerung nicht, blendet die Schattenseiten seiner Vita nicht aus. Weder beim Blick auf Wohn- und Familienverhältnisse noch auf seinen mittlerweile verstorbenen Bruder Horst, den nicht nur die Ricklinger als „Meister im Eisenbiegen“ kannten.

“Die Straße” von Rolf Alldag, Verlag Books on Demand

„Da war ich auch!“ „Den kenne ich noch!“ „Das habe ich ganz ähnlich erlebt!“ Solche Eindrücke entstehen gewiss bei vielen Ricklingern während der Lektüre. Erinnerungen an den Rundbunker beispielsweise, in den Alldag seine Leser mit nimmt. Oder an die „Fußmärsche“ in der Nachkriegszeit: ins nahe Linden zum Pferdeschlachter Ihle etwa oder zum Kohlenhändler Behrens am Hahnensteg, wo der Junge für eine Mark mit der Einkaufstasche Briketts holen musste.

Das Hochwasser von 1946 fehlt nicht: Die Familie Alldag sah es kommen, als es die Kleingärten überflutete, die später den Bauten am Ricklinger Kreisel weichen mussten. Jugenderlebnisse im Astoria-Kino und in der Nordfeldschule sorgen ebenso für Lesefreude wie Impressionen von der Teufelskuhle oder Ausflügen in Hannovers Mitte. Ricklinger Originale werden wieder lebendig, und bewusst wird, wie viele Einzelhändler doch einst im Stadtteil waren: „Allein in unserer Straße gab es zwei Bäckerläden, einen Fischladen, ein Milchgeschäft, Drogerien, Papier- und Textilgeschäfte sowie einen Konsum und mehrere Kaufmannsläden“, schreibt Alldag.

Ist es für Ältere eine Fundgrube der Erinnerungen, bringt das Buch jüngeren Lesern nahe, welche Probleme es in der Nachkriegszeit zu bewältigen gab, auch im Umgang mit anderen Menschen. Zudem ruft Alldag fast vergessene oder gar nicht mehr bekannte Bilder ins Gedächtnis. Wer weiß schon noch, dass auf dem Doppelhochhaus am Stadtweg eine Flugabwehr-Kanone stand nebst Baracke für das Bedienungspersonal? Wer kennt noch den hölzernen Eisenbahnwaggon ohne Räder, der am „Möve-Bad“ nahe der Leine als Umkleidekabine diente?

Eine wahre Story, die man sich noch heute in Ricklingen erzählt, ist ebenfalls im Buch zu finden: In der Nachkriegszeit war ein Pferd in eine kleine Sozialwohnung bugsiert worden. Man versuchte, es zu schlachten, aber das misslang. Der Gaul zertrampelte die gesamte Einrichtung, und gegen die verhinderten „Metzger“ gab es ein Strafverfahren wegen Tierquälerei.

Rolf Alldags flüssiges Erzählen lässt auch dann gern weiter lesen, wenn er Ricklingen verlässt und sich über weite Strecken des Buches in andere Stadtteile Hannovers und in andere Regionen Deutschlands begibt. Ein späterer Besuch in der alten Heimat, das verschweigt der Autor nicht, hält Enttäuschungen bereit: In „seiner“ Straße sind die vertrauten Geschäften verschwunden, und: „Der rasende Autoverkehr hat nichts mehr mit dem Leben in der Straße gemein.“ Doch den Menschen „aus seiner Mitte“ bescheinigt Alldag: „Ihr Leben war für mich fesselnd und lehrreich.“ Wer diesen Menschen und den Orten, an denen sie lebten, begegnen möchte, findet im Buch „Die Straße“ einen guten Weg zu ihnen.

„Die Straße“ von Rolf Alldag,
Verlag Books on Demand,
ISBN-Nummer 978-3-7322-3034-1,
umfasst 244 Seiten und kostet 21,99 Euro.

Umschlagtext:
Der Autor lässt seine Erzählung beginnen, als das Chaos des Krieges seinen Höhepunkt erreicht und das Ende greifbar wird. Der Vater der Familie ist im Krieg verschollen und auf die Mutter lastet die Sorge und Verantwortung für das Wohl der drei kleinen Kinder. Hier beginnt die Geschichte. Eine Strasse wie tausend andere. Tür reiht sich an Tür und Fenster an Fenster. Möchte man da nicht wissen, was sich dahinter verbirgt. Der Autor hebt für einen Moment die Anonymität auf, erzählt und beschreibt auf wunderbare Weise nicht nur seinen Weg zum Erwachsenwerden, sondern auch den der Familie, seiner Freunde und vieler, die ihn auf diesem Weg begleiten. Der Leser kann eintauchen in ein Stück erlebte Geschichte. Eine (fasst) autobiografische Erzählung, die Freude am Lesen bereiten, aber auch zum Nachdenken anregen soll.